„Kunst ist kein statisches System, sondern ein mobiles
in einem sich ständig ändernden Raum,
in dessen Bereich es keine Konstante geben kann.“
TRANSFELDER · LDs BILDERWELTEN
Ein Text von Prof. Ulf Jonak
Die Großstadt entfaltet ihre Schönheit, in dem sie überwältigt und übertreibt. Darum ist Manhatten des Großstädters liebstes Klischee: verschattete Schluchten, in den Wolken sich verlierende Perspektiven, nicht enden wollende Raster, blitzende Spiegelflecken, aufleuchtende Neonbänder und ein Meer von Schnappschüssen, Buchstaben, Stimmen und Vehikel aller Art. Ab und an ein Blatt, eine Taube oder ein Sperling.
LD ist, wie so viele in diesem Jahrhundert, Maler und Architekt zugleich. Da Architekten räumlich denken, ist sein Denken nicht wie ein Projektor strukturiert (ein Bild folgt dem anderen), sondern wie ein kompliziertes Gerüst von kreuz und quer gestellten Rahmen. Die ursprünglich endlose Weite der Innenwelt ist zugestellt von Kuben und Flächen, die sich überlagern, durchdrängen, ergänzen, verdrängen, verdecken und beschirmen. LDs Bilder, die so deutlich von der Geometrie der Großstadt sprechen, reflektieren aufs Neue das geschichtete Hintereinander und Ineinander der Spiegelflächen und Fassaden, deren Undurchdringlichkeit oder Transparenz.
Dieses Schichten geschieht, indem er oft von der Großkopie eines unprofessionellen Straßenraumfotos ausgeht: Fotos, die verwackelt, schief, geköpft und verdreht zu sein scheinen. Darüber lagern sich Farbbahnen, mit dem Pinsel oder der Walze gezogen, tröpfelnde Spuren, Buntstift-, Pastell-, oder Kreidelinien wie aus Laserkanonen durch Stadtschluchten geschossen. Die Flächen sind so gesetzt, dass sie das Geheimnis verborgener Räume zu wahren scheinen, sind aber auch derart behandelt, dass das Nacheinander der Bildentstehung begreifbar bleibt; ein Montieren, das spontan, grob und zart zugleich und vom Malwerkzeug geprägt die Oberfläche strukturiert. Parallel dazu simuliert die Montage der Farbflächen den von Werbetafeln und Medienflächen verhängten Straßenraum.
Aus diesem Widerspruch von Fraktur und Illusion entsteht die Spannung in LDs Bildern. Sie erhalten über die Montage hinaus die Qualität der Collage, dieser so entscheidenden künstlerischen Technik des 20. Jahrhunderts. Die Collage bezieht bekanntlich ihren Wert aus der konfrontierenden Verknüpfung von Unvereinbarem, derart, dass in einem ästhetischen Sprung etwas Neues, bislang nicht Dagewesenes oder nicht Gewusstes entsteht. Der Sprung gelingt, wenn LD Abbilder der energiegeladenen City fabriziert und im gleichen Moment sich mit dem farbsprühenden Vorhang des rhythmisch gesteuerten Malens beschäftigt, das eine illusionär, das andere von konstruktiv-abstrakten Vorstellungen geleitet. Beides sind parallele Bildthemen, Ansichten aus LDs Innenwelt, sind aber auch Lesarten, die sich ausschließen und zugleich bedingen.
Erst der pochende Interpretationswechsel während des Betrachtens enthüllt die sensiblen Stimmungsumschwünge des „Großstadtneurotikers”. Die Großstadt entfaltet ihre Schönheit bei Nacht, im Dunkel, dessen Tiefe undurchdringlich und deshalb unendlich zu sein scheint, im Dunkel, dessen Schwarz Blau, Gelb und Rot hinterleuchtet ist, im Dunkel, das von den Spots der Fenster und den bunten Strahlen der Neonlichter durchlöchert oder durchschnitten wird.
LDs schönste Bilder sind in dieses Schwarz getaucht, einer Finsternis, die wie aus dem Großstadtkosmos herausgetrennt ist, sparsam nur aufgehellt vom Schein einer farbigen Fläche oder eines dünnen Spalts. Auch in diesen lichtarmen Räumen gelingt es LD, Schichtungen von transparenten Feldern erkennbar übereinander zu legen, so dass die Tiefe gestaffelt, messbar und wie von Menschenhand geschaffen erscheint.
Die Großstadt entfaltet ihre Schönheit in der Bewegung, denn Vielfalt, Abwechselung und Erlebnis ergeben den Reiz des Städtischen. Im Flanieren oder eiligeren Durchfahren werden die Einzelheiten selektiert. Ein Bündel von räumlich distanzierten Schnappschüssen verknüpft sich zu einem Erzählstrang, einem privaten Film. Jedes wahrgenommene Bild der Sequenz erinnert an ein voriges und verweist auf ein folgendes. Jeder Faden, durch das Labyrinth der Stadt gezogen, hat zwar Anfang, Ende und Verzweigungen, lässt sich wieder rückwärts abspulen, ist aber individuell und selten auf die konventionelle Mitte bezogen. So lässt sich die Stadt als Stapelung individuell geknüpfter Netze beschreiben, die sich gegeneinander verschieben, an manchen Knoten verhaken und sich an anderen abstoßen.
„Dem Ort das Zentrum nehmen”, nennt dies LD. Er hat schon früh begonnen, Bilder in Serie zu malen, Leinwände, die nicht alleine zu lesen sind. Seit einiger Zeit ist er dazu übergegangen, sie auf Leitschienen aufzufädeln, sie aus der Senkrechten zu kippen, so dass sie wie auf einer Parabelspur, wie im Wurf erstarrt oder im Flug gebremst auf der Wand haften. Es sind Momentaufnahmen einer stillen Explosion, einer Karambolage oder des Auseinandergleitens der Ereignisse. Es sind Bildinstallationen, die den Prozess städtischer Kommunikation beschreiben und doch des Betrachters Einstieg in die Farbhüllen, Spiegel und Leuchtspuren erlauben, auf dass er sein eigenes Innere in den Dunkelheiten und Tiefschichten wieder finde: Trans(parente)-Felder.
Dieser Text wurde im Bildband "Prototypen" veröffentlicht.